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Tag 21 - Pinguine im Covid-Schutzbunker

08:00 Uhr

Es klingt beinahe unrealistisch, aber wir haben drei der vier Wochen hinter uns gebracht. Ohne schwerwiegende Verletzungen oder Tötungsdelikte innerhalb des eigenen Hauses. Die meisten Unfälle ereignen sich ja immerhin im Haushalt. Langeweile und Alkoholgenuss haben zwar auch schon einige bahnbrechende Erfindungen gefördert, aber meistens geht es ja doch eher zugunsten der Krankenkassen aus. Ich hingegen bin erschreckend nüchtern durch die Lockdown Zeit gekommen. Ab und an fragt meine Leber per WhatsApp nach, ob ich noch lebe und sie hat ihren Facebook Beziehungsstatus auf "kompliziert" gesetzt. Ich verspreche ihr aber, das auch wieder flüssigere Phasen kommen werden und sie gibt Ruhe für eine Weile. Wie schon erwähnt, ist bei uns dahingehend nicht weiter viel zu vermelden.
Eine Verfilmung des ganzen wäre dementsprechend stinklangweilig. Zwei Stunden verbringt man vor dem heimischen Fernsehgerät und wartet das der Film endlich in Wallung kommt.
Und dann...kommen die Credits. Könnte also der nächste Til Schweiger Film werden. Null-Kontakt-Hasen vielleicht. Warten wir es ab. 

 

 

08:33 Uhr

Todesmutig, wie ich nunmal bin, verlasse ich das warme Bett. Aber es kommt noch schlimmer. Auch das Schlafzimmer. Ich habe mich an die ruhigen Morgen in der Quarantäne gewöhnt. Man wacht auf, dreht sich noch einmal um, steht dann gemütlich auf und macht sich einen Kaffee. Kein schnelles Frühstück, bevor man ins Auto sprintet und zur Arbeit fährt, während man den Kaffee im Mitnehmbecher trinkt. Ganz ohne Hektik in den Tag starten. Heute ist dies allerdings nicht der Fall.
Ich tappe also in das Wohnzimmer und sehe meine Frau mit dem Laptop vor ihr auf dem Boden liegend. Das Handy in der einen Hand und den kleinen Mann neben sich sitzend, telefoniert sie nach Deutschland. Wozu also der Laptop? Die Eltern sollten sich auch bald melden und per Skype anrufen. Na toll, denke ich. Eine Video Konferenz im eigenen Wohnzimmer, bevor ich meinen ersten Kaffee habe. Das ist mir schon zu stressig mittlerweile. Ich bereite das heiße Lebenselixier zu und setze mich außer Reichweite der Kameras auf die Couch. Mittlerweile, sind alle auf Skype umgestiegen und können sich nun gegenseitig sehen. Der kleine macht gut mit und freut sich, andere Gesichter als unsere zu sehen. Immerhin hatte meine Frau den frühen Start genutzt um frische Brötchen zu backen. Damit gab es wenigstens ein ordentliches Frühstück nach der Konferenz. 

 

 

10:24 Uhr
Zeit die große Möbel-Rück-Aktion zu starten. Wir wohnen mittlerweile in unserer zweiten Wohnung, seit wir nach Neuseeland gezogen sind. Kurz vor Weihnachten sind wir erst hier eingezogen und noch immer leben einige Sachen in Kartons, Dekorationen sind noch nicht aufgehängt und Möbel zwar positioniert, aber halt auch irgendwie halbherzig. Gerade jetzt, wo der kleine langsam mobiler wird, sind wir der Meinung, da musste was passieren. Eine der Aktionen, die man gerne aufschiebt. Aber heute sollte dieser Tag gekommen sein. Wir fangen also an, das Wohnzimmer Stück für Stück zu reinigen, zu zerlegen und neu zu positionieren. Ich stelle nun also den großen Schrank vor die gläserne Haustür, verstelle die Fenster mit kleineren Möbeln und vernagel die Lücken zusätzlich, um uns größtmöglichen Schutz zu geben, gegen die anstürmenden Horden. Den Messerblock stelle ich nach oben gerichtet vor die Tür und lege den aus Altglas Flaschen bestehenden Scherben Teppich im Eingangsbereich aus. Gerade als ich aus der Käsereibe und dem Pfannenwender ein praktisches Schlagwerkzeug zusammen werkel, stößt mir meine Frau den Aluminiumhut vom Kopf und ich komme zur Besinnung. 

Dabei bin ich gerade dabei so richtig kreativ zu werden. Naja, vielleicht ein anderes mal. Mit einem Tee zum herunterkommen, schiebe ich die Möbel an den neuen Platz, räume den Eingangsbereich wieder auf und wir überlegen, wo die anderen Schränke und Geräte zukünftig stehen sollen.  Einen Teil haben wir dementsprechend bereits getan und der Rest des Zimmers kann auch noch ein paar Tage warten, denn das Wetter ist gut und wir wollen raus. 

 

 

15:10 Uhr

Ich sitze nun wieder an meinem Buch und meine Frau ist im hinteren Garten. Ich liebe es die heimischen Vögel in unserem Garten zu sehen. Mitten in der "Großstadt" erwartet man nunmal keine Artenvielfalt. Wir hingegen zählen diverse Einheimische Vögel zu unseren stetigen Besuchern, wie den seltenen Kaka, den farbenprächtigen Tui, den NZ Fantail, mit seinem weit gefächerten Federschweif oder dem winzigen Silvereye. Kaum zu glauben, aber es gibt hier in Wellington sogar Pinguine, die hier nisten und heimisch sind.

Hätte man mir vor zwei Jahren erzählt, ich würde in meinem kleinen Garten auf der Veranda sitzen, während einer nationalen Quarantäne und ein Buch schreiben, ich hätte diesen als verrückt erklärt. Immerhin waren wir vor zwei Jahren noch in Deutschland und hatten zwar unsere Flugtickets nach Neuseeland, aber weder einen Job noch irgendetwas derartiges in Aussicht. Wie unglaublich unüberlegt und ungeplant wir aufgebrochen sind, nur mit zwei großen Koffern, und einem Traum, das Flugzeug bestiegen haben. Wieso wir mehrere Monate im Campervan gelebt haben und wie es dazu kam, dass wir heute in Wellington wohnen und arbeiten dürfen, das ist ein anderer Teil der Geschichte und wird später beschrieben.  

 

 

18:00 Uhr

Wir befinden uns in einer ziemlich eigenartigen Lage weltweit. Etwas das niemand hätte voraussagen können, denke ich. Es ist mal wieder Zeit, die Nachrichten einzuschalten und zu sehen was sich national und international so abspielt. Vieles bekommt man zwar ohnehin mit, aber wenn man es dann von offizieller Seite noch mal bestätigt bekommt, ist es doch noch mal was anderes. Ich habe mich nie wirklich für Politik interessiert. Das hat sich auch hier nicht geändert. Aber die Politik ist dennoch ein wichtiger Teil unseres Lebens und beeinflusst, wie wir leben. Das zumindest sollte jedem klar sein. Politiker hier sind allerdings deutlich näher am Volk möchte ich behaupten.
Das mag zum einen daran liegen, dass es in Neuseeland keine fünf Millionen Menschen gibt, zum anderen ist auch alles generell etwas gelassener und ruhiger.

 

Durch meine Position als Veranstaltungstechniker, betreue ich diverse Konferenzen. Eine davon wurde auch von unserer aktuellen Premierministerin Jacinda Ardern besucht. Ich bekam diese Information erst am Morgen der Konferenz mit. Es gab also weder Background Checks, noch besonders hohe Sicherheitsstandards. Pünktlich wie ein Uhrwerk, kamen lediglich zwei Security Kräfte in den Saal, dicht gefolgt von der Premierministerin. Sie ging kurzerhand ans Rednerpult, hielt eine Rede, beantwortete Fragen aus dem Publikum (ohne Zensur) und verließ den Raum wieder. Kein großes Getöse um die Person. Sehr angenehm. Sie ist zudem auch international öfter mal in der Presse, da sie einen sehr eigenen Stil hat. Sie hält keine großen Reden, die niemand versteht. Vor einigen Jahren ist sie Mutter geworden, während ihrer Amtsperiode als Premier und auch der Nachwuchs war bereits bei einer Debatte anwesend. Als nämlich ihr Babysitter ausfiel. Ihr Mann ist ebenfalls berufstätig, dementsprechend kam der Nachwuchs halt mit ins Amt. Das neueste Update kommt also wie gewohnt um 18 Uhr. Neben ziemlich guten Neuigkeiten zu den Corona Fällen, die stetig kleiner wurden, gibt es eine große Ankündigung. Alle Politiker, inklusive der Premierministerin, der amtierenden Partei, kürzen ihr Gehalt um 20% ein. Diverse andere Parteien, unter anderem die Opposition, schließen sich an und verringern ihres ebenfalls. Auf sechs Monate verzichten fast alle geschlossen auf einen Anteil des normalen Gehaltes um ein Zeichen zu setzen. Und was für eines. Mit positivem Beispiel voran. 

 

Diese Geste hat mich beinahe aus den Socken gehauen. Sonst hört man je eher, Diätenerhöhung hier und dort. Das war mal ein klares Statement. Ich sehe der Zukunft umso mehr positiv entgegen und denke die Krise ist nicht nur negativ zu betrachten, sondern ist auch eine große Chance, die wir nur Nutzen müssen. In diesem Sinne, bleibt gesund und haltet durch.  

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Kommentare: 1
  • #1

    Miri (Freitag, 17 April 2020 04:17)

    Sehr Lobenswert eure Politiker. Könnten sich unsere mal ne Scheibe von abschneiden!