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Tag 22 - Fair-trade Kaffee per Anhalter

07:12 Uhr

Der frühe Vogel fängt den Wurm, heißt es. Oder wer früher aufsteht hat mehr vom Tag. Das mag zwar beides stimmen, aber ich finde ausschlafen dennoch die schönere Variante. Heute jedoch gab es einen Auftrag, der höchste Präzision, Konzentration und eine ordentliche Portion Überlebenswillen erfordert. Der zweiwöchige Großeinkauf. Ich wollte herausfinden, ob ein früher Start das anstehen vermeidet. Ich stehe also früh auf und verlasse ohne Kaffee und Frühstück das Haus. Völlig verrückt, werden jetzt einige sagen. Zurecht. Das Risiko, dass ich vom Einkauf zurück komme, für zweihundert Dollar handverlesene, gemahlene Fair-Trade Kaffee Bohnen aus Guatemala kaufe, inklusive einem Jahres Abo an Eselfutter und Partnerschaft mit einem ortsansässigen Transportunternehmen war immens. Die Tatsache warum ich es dennoch tue, ist einfach zu erklären. Der Kaffeebehälter ist alle. Ich fahre nun also zum nächsten Supermarkt und tatsächlich erwartet mich keine Schlange vor dem Laden. Das war schonmal positiv. Ich schnappe mir also einen großen Einkaufswagen und drehe, mit der Liste in der Hand, meine Runden durch die Gänge. Dabei probiere ich unnötige Fahrten zu vermeiden und prüfe die Liste doppelt und dreifach, bevor ich weitergehe. Das hat mittlerweile schon eher was von einem Taktik-Strategiespiel. Mit möglichst wenig Schritten, den Miteinkäufern aus dem Weg gehen, dabei die gewünschten Artikel finden und in den Warenkorb legen, bevor man ins nächste Level bzw. den nächsten Gang weitergeht. Der Wagen füllt und füllt sich. In zwei Wochen fallen doch diverse Artikel an, die man wieder aufstocken muss. Aber es gibt reichlich in den Regalen und man muss sich keine Gedanken machen, zu verhungern.

 

Nachdem nun alle Artikel im Korb gelandet sind, geht es Richtung Kasse, wo eine freundlich dreinblickende Mitarbeiterin mir eine freie Kasse zuweist. Ich warte nun artig, bevor die Kassiererin, nach dem desinfizieren des Laufbandes, mich bittet meine Waren auf das Band zu legen. Als diese meine Waren nun scannt und in den nächsten Wagen legt, unterhalten wir uns kurz über die aktuelle Lage und wie glücklich wir uns schätzen können, in diesem Land zu leben. Die meisten anderen Länder sind weitaus stärker betroffen und haben deutlich schlimmere Probleme. Wir hingegen sind auf einem guten Weg und könnten das erste Land der Welt werden, das den Virus komplett dezimiert. Hoffen wir auf das Beste. Am Auto verpacke ich den Einkauf in die mitgebrachten Taschen. Mit sieben prall gefüllten Einkaufstaschen komme ich wieder zu Hause an. Jetzt geht es ans auspacken, während meine Frau neugierig die Taschen durchstöbert. 

Auch sie hatte irgendwie damit gerechnet, ich würde irgendetwas völlig unerwartetes mitbringen. Das ich vielleicht auf einem Fahrrad mit eingebauter Kaffeemaschine zum mobilen Kaffeeverkauf auftauche und mich nun selbstständig mache. Oder so etwas. Aber irgendwie habe ich es geschafft, mich an die Liste zu halten, fast im Budget zu bleiben und alles zu bekommen. Ein weiteres ungelöstes Rätsel.

 

 

12:09 Uhr

Als ich 2010 von Neuseeland zurück nach Deutschland kam, fiel ich in ein tiefes Loch. Zwei Wochen bevor ich in den Flieger stieg bekam ich die Nachricht, dass meine Ausbildung nicht mehr stattfinden würde. Die Firma war pleite und der Besitzer hatte sich bereits mit Sack und Pack aus dem Staub gemacht. Ich war nach einem dreimonatigen Hoch auf dem besten Wege in die Arbeitslosigkeit. Fast depressiv, verzweifelt und ratlos, verließ ich nun dieses wunderschöne Land. Angekommen in Deutschland, hielt ich mich über Monate hinweg mit diversen Jobs über Wasser. Nichts hielt mich lange bei der Stange. Erst ein Jahr später war wieder ein kleiner Lichtblick zu sehen. Mein Plan war unverändert. Ich wollte irgendwann einmal in Neuseeland leben. Daran war nichts zu rütteln. Der beste Weg, so dachte ich, wäre eine abgeschlossene Ausbildung in Deutschland, da diese international sehr gut anerkannt sind, qualitativ gut und gern gesehen sind, egal wo man sich bewirbt.

 

Ich bewarb mich auf eine Ausbildung in der Veranstaltungstechnik. Ich kannte die Ortschaft, in der die Firma saß, gut und verband die Abgabe meiner Bewerbung mit einer kleinen Motorradtour. Nach einem weitreichenden Trip nach Hause, der Blick auf das Handy. Fünf verpasste Anrufe, von eben dieser Firma. Sie waren begeistert von meiner Bewerbung, speziell, da ich älter war als die meisten Auszubildenden, einen LKW Führerschein vorweisen konnte und, so dachten sie zumindest, reifer bin. Bei einem Probearbeiten ein paar Monate später, traf ich eine Kollegin. Meine zukünftige Frau. Wie das Leben so spielt, veränderte das mal wieder alles.

Leben ist das, was passiert, während man noch mit planen verbringt. Wir verbrachten nicht lange in derselben Firma, da erst meine Frau und später ich den Betrieb wechselten. Dennoch waren wir nach einiger Zeit ein Paar. Wie jedoch, sollte ich jetzt meinen Plan in die Tat umsetzen? Ich war von Anfang an offen und ehrlich und verschwieg meinen Traum nicht ihr Gegenüber. Sie fand Neuseeland auch interessant. War aber selbst noch nie da. Dennoch war sie zumindest erstmal gewillt mich zu begleiten und dem Land eine Chance zu geben. Verrückt nicht wahr? So verrückt, das ich wusste sie wäre die Richtige.

 

2015 war es dann soweit. Wir beide hatten unsere Ausbildung abgeschlossen, waren mittlerweile selbstständig, wohnten zusammen und planten unsere gemeinsame Zukunft. Wir buchten einen fünfwöchigen Urlaub an das Ende der Welt. Fünf Wochen lang die Südinsel erkunden. Wir flogen also im November nach Christchurch. Für meine Frau war das übrigens der erste Flug überhaupt. Die erste Zwischenlandung in Dubai, nach sechs Stunden, bestätigte Gott sei Dank, dass sie das Fliegen verträgt. Das war meine größte Sorge, denn sonst würden die nächsten 20 Flugstunden sicherlich kein Zuckerschlecken. Nach circa 30 Reisestunden kamen wir endlich in Christchurch an. Dort hatte ich früher bereits einige Zeit verbracht und kannte mich bestens aus. Somit brauchten wir auch kein Hotel oder Bed & Breakfast vorweg buchen, dachte ich. Was ich leider bis heute bereue. Ich habe leider nicht bedacht, dass Christchurch 2011 von einem starken Erdbeben getroffen wurde. Man sieht ja häufig Naturkatastrophen in den Nachrichten. Tsunamis, Tornados oder auch Erdbeben. Und die Zahl der Verletzten und Toten sind immer wieder aufs neue erschreckend. Wenn man den Ort aber bereits besucht hat, ist das noch einmal eine Nummer schlimmer, finde ich. Das Beben fand gegen 13 Uhr statt, also mitten zur sehr geschäftigen Mittagszeit. Großflächige Zerstörungen, Risse im Boden, zerfallene Gebäude. Das waren die Bilder, die mir im Kopf blieben. 2015 vergaß ich diesen schwarzen Tag allerdings. Wir verließen den Flughafen, gebeutelt von dem langen Flug, nahmen den Bus in die Innenstadt und wollten als allererstes eine ordentliche Mahlzeit zu uns nehmen. Am Busbahnhof angekommen...moment. Busbahnhof? Das war neu. Auch auf der Fahrt bis dahin, habe ich nicht viel wiedererkennen können. Ich musste mich neu orientieren. Aber es fehlte an markanten Bauwerken, Straßenzügen und Geschäften. Nichts von dem was ich kannte, war noch da. Die meisten großen Gebäude waren entweder dem Erdbeben oder wegen Einsturzgefahr den Baumaschinen zum Opfer gefallen. Wir liefen also planlos durch die Gegend, müde und hungrig, und versuchten einen Laden zu finden, der uns zusagte. Für meine Frau Stress pur und ich versuchte verzweifelt die Situation zu begreifen. Wir endeten in einem Pub, der auch Burger anbot und waren zumindest nicht mehr hungrig. Die Suche nach einem passenden B&B per Handy machte es dann einfacher. Aber der Start war schon mal misslungen.

 

Ein Freund von mir, holte uns nächsten Tag ab und wir verbrachten ein paar Tage bei ihm. Das war ein besserer Auftakt. Wir konnten uns einen alten VW Bus von ihm ausleihen und bereisten damit zwei Wochen die Insel. Der Bulli hatte einen Subaru Motor verbaut und war etwas zickig dann und wann. Er wollte nicht immer direkt anspringen wenn er kalt war, was uns einige Male das anschieben nicht ersparte. Meistens bekam man ohne zu Fragen Hilfe von Passanten oder anderen Campern. Das war meistens also nicht weiter tragisch. Aber für meine Frau trug das nicht gerade zum wohlfühlen bei. Die Südinsel ist nicht gerade dicht besiedelt. Weswegen man sich am besten vorher informiert, wo sich die nächste Tankstelle befindet. Da ich die meiste Zeit das Fahren übernahm, war dies meine Aufgabe. Ich kannte die meisten Strecken und wusste wo sich die Ortschaften befinden, bzw. wie weit die Strecken waren. Einziger Haken war, die Tankanzeige. 
Die Nadel bewegte sich zwar, allerdings war 3/4 ein voller Tank und bei 1/4 war der Tank leer. Nicht Reserve. Leer. 

Ich fuhr also gerade an einer Tankstelle vorbei, mit einem meines Wissens viertel Tank und bog in die nächste Straße ab. Keine fünf Kilometer später, passierte das unerwartete. Der Motor ging aus. Auf einer Landstraße im Nirgendwo. Ein Versuch des Anschiebens blieb erfolglos. Das erste Auto was vorbeikam, hielt direkt vor uns an und erkundigte sich was los war. Es waren ein paar Männer des DOC (Department of Conservation), eine offizielle Behörde, die für den Naturschutz zuständig ist. Ein zweites "Auto" hielt an.
Ein riesiger LKW-Kran, ebenfalls vom DOC. Die Kollegen, versicherten ihnen alles unter Kontrolle zu haben und man trifft sich auf der Baustelle. Der Kran zog weiter. So einer hätte in Deutschland niemals angehalten, denke ich noch im hinterherschauen. Kurzerhand kippte der DOC Mitarbeiter uns ein Kettensägen-Benzin in den Tank und sagte: "Das sollte euch die fünf Kilometer zurück zur Tankstelle bringen." Bevor ich ihnen richtig danken konnte, fuhren diese von dannen. Das war ein Wendepunkt für den Urlaub. Denn diese Aktion hatte meine Frau von der Gastfreundschaft und den Menschen hier schon mal überzeugt.

 

Nach zwei Wochen Rundreise, brachten wir den Camper zurück und verbrachten wieder ein paar Tage in Oamaru. Dann war es Zeit aufzubrechen. Diesmal mit dem Daumen. Die Rucksäcke auf dem Rücken, den Daumen nach oben und los geht's. Das Reisen per Anhalter war hier noch nicht so verpönt wie in einigen anderen Ländern und ging ganz gut von statten. Selten stand man länger als eine halbe Stunde, bevor einen irgendjemand mitnahm. Das schöne dabei ist, man lernt viele Leute kennen. Meistens Einheimische, mit denen man sehr schnell in Gespräch kommt. Eine der lustigsten Fahrten, war mit einer Studentin aus Dunedin. Diese fuhr über die Weihnachtsfeiertage zu ihrer Familie nach Blenheim. Das ist komplett einmal die Ostküste entlang von Süden nach Norden. Wir fuhren bereits ein ganzes Stück, unterhielten uns angeregt und hatten Spaß. Dann plötzlich Blaulicht hinter uns. Der Streifenwagen überholte und zog uns heraus. Auf die Frage nach dem Führerschein, musste sie gestehen, ihn zu Hause vergessen zu haben. Das waren aber bereits gute sechs Stunden Autofahrt. Zu spät zum umkehren. Der Polizist fragte nach meinem Führerschein. Dieser war gültig und nun konnte ich das Auto übernehmen. Somit war sie nicht gestrandet. Wir brachten sie also bis nach Blenheim, wo sie für die Feiertage blieb und wir brachen von neuem auf. Der Kaffee ging übrigens auf sie. 

 

Fünf Wochen mit einigen "Ups & downs" lagen nun hinter uns. Der Flieger brachte uns zurück und wir waren nun beide der Meinung, das dieses Land immer noch eine Option war. Die Planungsphase konnte nun also beginnen. 

 

 

14:00 Uhr

Wieder zurück im Hier und Jetzt, geht die wöchentliche Videokonferenz los. Die Kollegen kommen nach und nach online und alle sind erfreut die anderen Gesichter zu sehen. Es herrscht eine großartige Atmosphäre in der Firma. Trotz der prekären Lage, ist die Stimmung recht gut. Es kommen bereits erste Jobanfragen. Wir haben einen ziemlich guten Plan für die Zukunft und blicken dem ganzen positiv entgegen. Wir sind alle der Meinung es wird Zeit mal wieder ins Lager zu fahren und das eigene Haus zu verlassen. Aber zur Zeit muss der Kontakt noch unterbunden werden. Mit etwas Glück sind wir aber bald aus dem gröbsten raus. Zur Abwechslung habe ich es mir heute im Garten gemütlich gemacht, sowie die meisten Kollegen, und jeder teilt ein paar Geschichten mit uns. Das ist sehr angenehm und stärkt das Team. Viele Ideen werden diskutiert und Projekte werden besprochen. Das angehen dieser muss aber noch ein paar Tage, wenn nicht Wochen, warten. Nach dem Mittagsschlaf des kleinen, wohnt er unserer Konferenz bei und freut sich die ganzen Gesichter zu sehen. So leicht bekommt man ihn noch glücklich. Wenn das nur so bleiben würde...
Den Rest des sonnigen Nachmittags, verbringen wir ebenfalls wieder draußen. Wer weiß wie lange es noch so schön bleibt.  

 

 

20:10 Uhr

Der Zwerg ist in seiner Traumwelt und wir machen es uns auf der Couch gemütlich. Ich hatte Mikrowellenpopcorn vom Einkauf mitgebracht, das wir uns nun zubereiten und dann suchen wir nach einem Film. Die Wahl fällt auf 2012. Ist vielleicht ein sehr ironischer Film in diesen Zeiten, aber vom Ende der Welt, haben wir noch nicht viel mitbekommen. Also bilden wir uns ein wenig weiter und bereiten uns auf das schlimmste vor. Soweit es eben geht, mit extrem überladenen, übertriebenen und dem Realismus fernen Filmen wie Waterworld, the day after tomorrow oder eben 2012. Aber gut gemacht sind sie ja doch. 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Sabine (Freitag, 17 April 2020 06:57)

    Schön wenn sich Träume erfüllen und man dann auch noch den richtigen Partner dazu an seiner Seite hat :-) wir machen gerade Siesta im Garten und dann geht’s wieder an die Arbeit....Die Garage muß fertig entrümpelt werden.....hoffentlich macht die Kippe bald wieder auf damit das Zeug nicht so lange im Garten steht .....sieht ziemlich blöd aus....liebe Grüße aus dem sonnigen Deutschland:-*)

  • #2

    Miri (Freitag, 17 April 2020 07:05)

    Diese Weltuntergangsfilme sind alle total unrealistisch. Keiner hortet Klopapier und trägt nen Mundschutz oder achtet auf Absrandsregelungen!

  • #3

    DAD (Freitag, 17 April 2020 12:31)

    Ich bin dafür den Weltuntergang zu verschieben, zumindest bis Montag. Heut war ein historischer Tag! Ok, nach den Geburtstagen meiner Jungs und als mein Käfer durch den TÜV kam! Es gibt wieder Klopapier, Mehl und Hefe. Die Welt ist gerettet.
    Also schnell einen leckeren Quark-Streuselkuchen backen, bevor sie es sich anders überlegt.
    Äh, oh, sorry, ich schick wenigstens ein Foto davon :-))