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Tag 23 - Brot und Spiele

07:45 Uhr
Unser lebendiger Wecker hat sich eine neue Zeitrechnung zurecht gelegt und wacht nun früher auf als sonst. Seit ein paar Tagen wird er gegen sechs Uhr wach. Obwohl Zeit ja gerade eigentlich keine Rolle spielt. Ohne Termine bzw. ohne festen Tagesablauf, wie es normalerweise bei berufstätigen ist, ist die Zeit nahezu irrelevant. Ob ich nun um Acht oder Neun frühstücke ist ja völlig egal. Der Nachwuchs hilft uns die Zeit dennoch nicht ganz zu verlieren. Man weiß grob welcher Tag ist, da ich dies jeden Tag in mein Tagebuch aufnehme. Heute ist Freitag. Wir erwarten freudig ein Lieferung. Ich wollte das schon länger mal ausprobieren und jetzt war der perfekte Zeitpunkt. Eine deutsche Bäckerei in der Nähe hat auch im Lockdown einen Lieferdienst. Neben Brot kann man auch Mehl, Hefe und süßes Gebäck bestellen. Da wir nicht genau wussten, wann die Lieferung eintrifft, fangen wir dennoch mit dem Frühstück an. Noch während wir am Tisch sitzen, ein kurzes Klopfen an der Tür, als Zeichen, dass die Lieferung vor der Tür steht. Es findet alles Kontaktlos statt. 

 

Das Paket ist größer als erwartet. Wir öffnen es in freudiger Erwartung, obwohl ich weiß was sich darin befindet. Meine Frau aber nicht. 
Ein ordentliches dunkles Thymian-Roggen-Brot lachte mich an, neben einem zwei Kilogramm Sack feinstem Bäckermehl, frischer Hefe (die es hier in Neuseeland nicht im Supermarkt gibt) und zwei Croissants. Diese kommen genau richtig zum süßen Abschluss des Frühstücks. Lecker. Passt hervorragend zum zweiten Kaffee. 

 

 

13:21 Uhr 

Ein kleiner Mittagssnack sollte heute reichen. Es gabs Sandwiches. Danach wollen wir mal wieder raus. Aber diesmal nicht nur in den Garten. Es ist zwar etwas windig, aber das ist in Wellington ja nichts Neues. Heute sollte es mal wieder eine größere Runde werden. Wir streifen also die Jacken über, packen den kleinen in den Tragegurt und gehen vor die Tür. Es ist kühl. Als wir die Hauptstraße erreichen, liegen dünne Nebelschwaden in der Luft. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Die Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand. Verschlissen über die Zeit von all den Road Trucks. Wir schlagen uns vorerst Richtung Westen durch. Der Stadtteil Newtown ist nicht weit von unserer Basis entfernt. Dieser sollte unser erstes Ziel werden. Als wir dort angekommen sind, das gewohnte Bild.

 

Newtown war traditionell recht multikulturell besiedelt gewesen. Die verschiedensten Einflüsse waren hier bis heute zu sehen. Eine große kulinarische Vielfalt bot sich hier einst. Von indischen Spezialitäten Händlern, italienischen, asiatischen oder malaysischen Restaurants, türkischen Teehäusern hin zu französischen Cafes und mexikanischen Taco-Läden. Einst gab es hier alles was das Herz begehrte. Die ehemals schöne Ladenstraße war nun seit Jahren verlassen und dem Verfall überlassen. Vernagelte Fensterläden, eingeworfene Scheiben, vergitterte Türen und zerfallene Vordächer dominierten das Bild. Streunende Hunde durchstreiften die Trümmer. Die ehemals farbenfrohen Wände waren mit Graffiti beschmiert oder zerstört worden. Ein trauriger Anblick bot sich uns. Dennoch war es keine Überraschung.

 

Dasselbe Bild bot sich uns fast überall in der Stadt. Seit der großen Pandemie hatte sich einiges verändert, denke ich an bessere Zeiten zurück. Wir pirschen uns vorsichtig immer näher heran und hielten wachsam Ausschau nach allem was uns gefährlich werden konnte. Wir erhofften uns in den Restaurants und Shops noch etwas essbares zu finden. Eine kleine Hoffnung, da diese Stadt bereits dutzende Male von Plünderern und schlimmerem heimgesucht wurden. Vorsichtig blickten wir in die Schaufenster und hielten unsere Augen auf, nach allem was von Interesse sein könnte. Die meisten Häuser sind allerdings zu sehr beschädigt, als das wir wagten sie zu betreten. Dort klaffte ein größeres Loch in der Wand. Mit etwas Glück konnte ich mich hindurchzwängen und hätte Zugang in den Innenraum. Es gelang mir. Meine Frau hielt draußen Wache. Ich schlich vorsichtig durch den herumliegenden Geröll und versuchte mich so leise wie irgend möglich umzusehen. Die war augenscheinlich mal ein afrikanisches Restaurant gewesen, was man anhand der Dekoration noch immer erkennen konnte. Hinter dem Tresen, ist eine halb offene Tür. Das musste die Küche sein. Langsam näherte ich mich der Tür. Ich stieß sie vorsichtig auf und horchte in den dahinter liegenden Raum. Nichts. Kein Laut. Ich gehe hinein und sehe mich um. Es war einmal die Küche, erkenne ich. Die Regale zerbrochen, kreuz und quer im Raum liegend. Bis auf ein paar Teile der Küchenzeile, ist alles zerstört worden. Ein Stück der Decke ist eingebrochen und versperrte den hinteren Teil des Raumes. Dennoch habe ich Glück. Zwei Konservendosen sind anscheinend übersehen worden. Ich griff nach ihnen und prüfte sie auf Löcher. Ich konnte weder Köder oder Fallen an ihnen erkennen und nahm sie auf. Zum Glück passierte nichts. Mit der Beute, machte ich mich auf den Rückweg. Meine Frau hatte noch kein Zeichen gegeben, dass Feinde nahten. Also erwartete ich keine Überraschungen. Ich zwängte mich erneut durch die fragile Lücke im Mauerwerk.

 

Glücklich über den Fund, umarmte ich meine Frau und gab dem Zwerg einen Kuss auf die Stirn. Beim umsehen, fiel mir auf das die Gegend sich verändert hatte. Sie ist ehrlich gesagt kaum wiederzuerkennen. Die Trümmer, zerstörten Gebäude und Barrikaden auf den Straßen sind weg. Einige wenige Spaziergänger waren in einiger Entfernung zu sehen. Meine Frau blickte mich fragend an. Was ist los? Ach nichts, erwiderte ich. Und mir wurde klar, dass es sich um einen Tagtraum handelte. Die Pandemie war zwar real, aber lange nicht so schlimm. Die Geschäfte sind geschlossen, aber das Ende der Welt ist noch nicht eingetroffen. Einen Kaffee bekomme ich heute dennoch nicht. Zumindest nicht in der Stadt. Also machten wir uns auf den Heimweg. Diesmal geht es über den Mount Vic zurück. 

 

 

17:23 Uhr

Wieder zu Hause angekommen, gibt es erstmal den ersehnten Kaffee. Bevor wir unser weiteres Vorgehen beschließen. Der Walk dauerte gute zweieinhalb Stunden. Die kleine Pause ist also durchaus verdient, wie ich finde. Jetzt ist es an der Zeit, das Abendprogramm zu gestalten. Nach diesem Abenteuer ist man für ein wenig Entspannung gerne zu haben. Als wir mit dem Abendbrot fertig sind, gehe ich mit dem Nachwuchs in die Badewanne. Für ihn immer wieder eine tolle Zeit und auch ich genieße es, ihm bei seinen schwimmversuchen zuzusehen. Sein Lachen verrät nur allzu gut, wie sehr es ihm gefällt. Nach einiger Zeit, holt meine Frau ihn mit seinem Handtuch ab und macht ihn bettfertig. Ich bleibe noch etwas liegen und genieße die Ruhe. 

 

Wenn wir eines aus dieser Pandemie lernen können, dann doch dass man die alltäglichen Dinge wieder mehr schätzen sollte. 

Genieße gutes Essen, Zeit mit der Familie, Kontakt zu Freunden, die Natur und die lokalen Sehenswürdigkeiten und vor allem die eigene Gesundheit. Dass was viele heutzutage eben als selbstverständlich hinnehmen. 

 

Um es mit den Worten meines Lieblings-Autoren zu sagen: 

 

 

 

 

"Wenn mehr von uns gutes Essen, Freude und Gesang gegenüber gehortetem Gold schätzen würden, wäre es eine fröhlichere Welt."

Zitat von J.R.R. Tolkien (frei übersetzt)

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Kommentare: 1
  • #1

    Sabine (Sonntag, 19 April 2020 04:06)

    Wieder ein schöner anschaulicher Bericht, ich habe mal wieder das Gefühl das ich direkt neben euch stehe.....nur beim Baden habe ich schnell die Augen zu gemacht ;) :D :D :D habt noch einen schönen gemütlichen Tag :*