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Tag 6 - Radikalisierte Schildkröten

08:10 Uhr 

Ich wache auf. Es ist dunkel im Zimmer. Ich betätige den Schalter der Leselampe. Nachdem ich meine Brille fand, nahm ich die vergoldete Glocke in die Hand und schellte sie einmal. Keine Minute später, stand unser Butler in der Tür und fragte: "Sie haben gerufen, Herr?"

Schnurstracks ging er zum Fenster, öffnete die Vorhänge und die Sonne strahlte mir entgegen. Es war ein schöner sommerlicher Tag.

Meine Gattin befand sich bereits im Garten und trank ihren Tee, die Babysitterin kümmerte sich um den Nachwuchs.  Ich schaute ein paar Minuten verträumt aus dem Fenster. Dann begab ich mich in das Esszimmer und ließ mir ein prächtiges Frühstück bereiten. 

 

Nachdem ich mich für den Tag gestärkt hatte, ging ich in die große Bibliothek im unteren Stockwerk. Schnell fand ich ein Buch, das mich gerade interessierte und ich ging in den Garten. In einem schattigen Plätzchen, nahe dem Teich, setzte ich mich auf eine Bank und schmökerte etwas in meinem Buch. Einige Enten plantschten gemütlich über den See, die Trauerweiden auf der anderen Seite ließen ihre Äste bis hinter zum Wasser hängen. Richtig malerisch und friedvoll war diese kleine Oase. Ein kleiner Ort der Entspannung, wo man jeden Stress hinter sich lassen konnte. Plötzlich erschrak ich, als eine der Enten, wie vom Blitz getroffen, erregt von dannen flog.  

 

08:12 Uhr

Ich wache auf. Es ist dunkel im Zimmer. Ich betätige den Schalter der Leselampe. Nachdem ich meine Brille fand, schnappte ich mein Smartphone und warf einen Blick auf die Uhr. Viel zu früh dachte ich mir. Aber mein kleiner lag hinter mir und zeigte mir liebevoll mit Tritten in den Rücken, das es Zeit war aufzustehen. Wo war der Butler? Die Babysitterin? Und der Rest meines großen Schlafzimmers?

Achja, die Millionen ließen ja immer noch auf sich warten. Das große Herrenhaus war nur ein Traum. Ich befand mich wieder in unserem kleinen Haus in Wellington. Mein riesiger gepflegter Garten, die große Sammlung klassischer Automobile und auch die Koppel und Reitställe meiner Frau, waren nicht vorhanden. Schade eigentlich, hatte mich doch schon daran gewöhnt, dachte ich. Naja, macht es auch irgendwie etwas einfacher. Wenn man sich nicht täglich fragen muss, welches Auto man denn heute nähme. Sehen wir es doch positiv, denke ich. Obwohl ich auch positiv denken würde, wenn ich in meinem 1956'er Chevrolet Bel Air, in türkis mit weiß abgesetztem Heck, gemütlich die Landstraße am Lake Wakatipu entlang cruisen würden. Ach, eines Tages, denke ich und drehe mich zu meinem kleinen Engel um. Dieser strahlt mich an, nachdem ich mich endlich umgedreht habe. Alle Gedanken sind verflogen und nur der Augenblick zählt. 

 

Meine Frau blieb heute etwas länger liegen. Ich schnappte mir den Zwerg, ging in die Küche und bereitete uns ein schönes Frühstück vor. Nach dem Frühstück ging es ins Wohnzimmer, wo der kleine sich umgehend auf seiner Decke einrichtete. Innerhalb von wenigen Minuten, lag sein Korb auf der Seite, die Spielsachen kreuz und quer verteilt. Totales Chaos. Anarchie vom Feinsten. Ihm schien es zu gefallen. 

Ich begann, mich an das Buch zu setzen. Schließlich war es der Plan, jeden Tag ein neues "Kapitel" zu veröffentlichen. Somit hieß es jeden Vormittag einen kompletten Tag zu verfassen, zu korrigieren, der Frau vorzulesen, die Kritik umzusetzen und erneut zu lesen. Abends sollte es ja dann fertig korrigiert hochgeladen werden. Bisher klappte das ganz gut. Die Themen gingen mir bis jetzt selten aus.

 

 

10:32 Uhr

In Neuseeland gibt es seit einer Woche eine Facebook Gruppe, zu Ehren der Helden der Corona Krise. Die ungenannten Helden, die tagtäglich für uns da sind. Seien es Ärzte, Midwives, Krankenschwestern, Bauern, aber auch Supermarkt Mitarbeiter, Müllmänner, Feuerwehrleute, Polizisten, IT'ler (Nerds), Banker und alle anderen, die ich hier vergessen habe. Die Idee ist, jeden Abend um sieben Uhr an der Grundstücksgrenze, auf dem Balkon oder der Haustür zu stehen und für eine Minute zu klatschen, um diesen Menschen zu danken.

Innerhalb einer Woche traten fast 60.000 Leute der Gruppe bei. Hier wird Solidarität wirklich groß geschrieben. Diese Leute werden nicht nur gefeiert, sondern auch unterstützt. Die Supermarkt Kette Countdown in etwa, gibt Mitarbeitern während der Corona Lockdown Phase, aufgrund der erschwerten Bedingungen und dem Mehraufwand, 10% mehr Gehalt. So muss es sein.

Ich bot meine Hilfe an, nachdem ein Mitglied die Idee hatte einen Patch zu machen. Sozusagen ein Erkennungszeichen für diejenigen, die in jenen Berufen arbeiteten. Der Stil sollte denen von Motorrad Clubs ähneln. Ich setzte mich also für einige Zeit an Photoshop und erstellte einen Patch, der diesen Menschen den Respekt zollt, den sie verdient haben. Denn sie sind es, die dieses Land aufrecht erhalten. Nicht nur in Zeiten der Corona Krise.

 

 

12:22 Uhr  

Neben ein paar kleinen Reparaturen rund ums Haus, wie etwa dem Küchenschrank, dessen Türen seit Einzug aneinander schliffen, Türen die nicht richtig ins Schloss fielen und andere kleinere Optimierungen, entschieden wir uns die Fenster zu putzen. Auch dies schien schon einige Zeit her zu sein. 

 

 

15:00 Uhr 

News Update zur Krise. 

Wieder einmal hat sich die Zahl erhört. Viele neue Fälle, aber mit nur einem Todesfall bislang. Keine große Panik. Bis sich die Quarantäne auch in Zahlen zeigt, müsse halt etwas geduldig sein. Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut. Oder doch? Man kann es nicht genau sagen. Die wenigsten die dabei waren sind bis heute sehr gesprächig. Oder sie verschweigen die Wahrheit? Ich glaube ich bin da etwas auf der Spur...ich bin mal kurz weg. Muss was recherchieren. 

 

 

16:03 Uhr

Nach diesem Schock, erstmal eine Runde raus. Ja, man darf noch rausgehen. Heute entschieden wir uns für die andere Richtung. 

Wir schnappen uns also den Kinderwagen, und dann los. Die kleine Ladenstraße in Kilbirnie, sonst sehr belebt, ist bis auf einige wenige, die ihre Hunde Gassi führen, menschenleer.  Die Straßen sind leergefegt, bis auf die Busse, die nach wie vor ihre Runden drehen. Anscheinend haben die Menschen es verstanden, was Isolation bedeutet. Keine unnötigen Fahrten, kein Versammeln am Strand. Man sieht hin und wieder Nachbarn miteinander reden, da nehmen wir uns auch nicht raus, aber halt mit Abstand. Social distancing heißt nicht das die Sozialen Kontakte abgebrochen werden sollen. Auch ich muss erkennen, ich habe ich nie soviel Nachrichten, Anrufe oder anderweitige Kontaktaufnahmen aus der alten Heimat bekommen, wie zur Zeit. Hat also auch seine schönen Seiten. 

 

Auf dem Rückweg noch ein paar Kleinigkeiten, wie Brot und Wein, einkaufen. Die Schlange vor dem Supermarkt war übersichtlich. Es gibt Begrenzungen für Personen die sich im Supermarkt aufhalten dürfen. Ein Ordner im Eingangsbereich, winkt eine Person herein, sobald einer den Laden verlässt. Das klappt recht gut und niemand drängelt oder ist genervt. Man steht also in einer Reihe, mit jeweils zwei Meter Abstand dazwischen, vor dem Markt und wartet auf Einlass. So hatte ich mir die damalige DDR immer ausgemalt. Schlangen vor den Supermärkten, wenn es mal wieder eine neue Lieferung gab. Hier hingegen war es etwas anders. Man unterhielt sich mit dem Vordermann und kam in einen geselligen Small Talk, erkundigte sich, wie der jeweils andere mit der Isolation umgeht.  Sobald man im Markt war, ging man wie gewohnt seine Gänge ab, legt die Waren in den Einkaufswagen oder trug sie zur Kasse. 

Bis auf wenige Regale, war alles gut gefüllt und man hatte keine Anzeichen einer extremen Knappheit an Artikeln.

Mit der Flasche Wein, dem Brot und einer Kleinigkeit fürs Gemüt, ging es zurück zu Frau und Kind, die vor dem Supermarkt ihre Runden drehten. Ab nach Hause, das Abend Programm wartete.  

 

 

20:36 Uhr

Der kleine  Held ist im Bett. Die Eltern verbringen den Abend mit Mario und seinen Freunden, bei einer Partie "Mario Party" auf der Nintendo Switch. Wer war dieser Mario? Für die ältere Generation eine kleine Erklärung. Mario ist ein kleiner, italienischer, übergewichtiger Klempner, der seine Freundin, Prinzessin Peach, immer mal wieder aus den Fängen des übermächtigen, bösartigen Bowser, einer Art mutierten Riesen Schildkröte, befreien muss. Schon immer ist diese besonders gut darin, sich entführen zu lassen. Im Jahre 1985 erstmal in den Spielhallen zu finden, musste man mit diesem Videospielcharakter damals noch gegen Donkey Kong, einen Riesenaffen, antreten und die Herzensdame letztendlich befreien. Seit dem zweiten Teil wird die Prinzessin regelmäßig entführt, allerdings von dem früher bereits erwähnten Bowser. In über dreißig verschiedenen Spielen, teils mit Hilfe seines schmächtigen Bruders Luigi, springt man nun heiter durch verschieden Welten, mal durch Höhlensysteme, durch Wüsten oder auch mal Unterwasserwelten. Jetzt denkt ihr wahrscheinlich, völlig bekloppte Story, viel zu konfus. Das hat ja mit der Realität nicht mehr viel am Hut. Doch!

Der Italiener trägt nämlich einen Schnauzbart und kommt auch Gelegentlich durch über den Wolken befindliche Luftschlösser, um die Angebetete zu retten. Naja, vielleicht doch etwas weit hergeholt. Zumindest der Schnauzbart. Der Ableger "Mario Party" ist, wie der Name schon vermuten lässt, für mehrere Spieler ausgelegt und ähnelt mehr einem Brettspiel. Bis zu vier Teilnehmer sind nun auf dem digitalen Spielbrett, würfeln der Reihe nach und sammeln Münzen und Sterne um das Spiel für sich zu entscheiden. Dies geschieht in verschiedensten Minispielen und ist dank der Gestensteuerung mitunter sehr aktiv und vor allem sehr lustig. Da die Teams auch immer wieder durchgemischt werden und die Charaktere Stärken und Schwächen besitzen, kommt nie Langeweile auf. Eine angenehme Ablenkung und definitiv empfehlenswert.

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Angie (Mittwoch, 01 April 2020 22:30)

    Herrlich. Ich als totale Leseratte bin mehr als begeistert. Freue mich jede. Tag tierisch auf Nachschub von dir.
    Danke fürs schreiben.

  • #2

    Sabine (Donnerstag, 02 April 2020 01:38)

    Moin Sven....ja, geklatscht wurde hier auch, aber die Leute waren nicht sehr erbaut davon und meinten wir sollten lieber die Petition unterschreiben damit grundsätzlich etwas geändert wird. Im Gesundheitssystem wurden einfach zu viele Stellen abgebaut und viele Jobs sind einfach unterbezahlt....so ganz unrecht haben sie ja auch nicht �‍♂️ aber wir haben viele andere „Helden des Alltags“ � viele Menschen helfen wo sie können, kümmern sich darum das die gefährdeten Menschen nicht raus müssen und kaufen für sie ein, nähen Gesichtsmasken für alle Bürger und wollen noch nicht mal Geld für die Masken. Die Krise hat die Menschen auch hier wieder näher gebracht. Es ist schon ein komisches Gefühl wenn man durch die City geht und alle Läden sind geschlossen, aber ich muss sagen, der größte Teil der Menschen richten sich nach den Anordnungen und was ganz wichtig ist....sie haben ihren Humor und ihre gute Laune noch nicht verloren � so, genug geschrieben, sonst mach ich dir noch Konkurrenz ��� ich wünsche euch einen schönen sonnigen Tag und schicke mal wieder liebe Grüße an dich und deine Familie..... passt gut auf euch auf und bleibt gesund ��